Unterfränkischer Schachverband e.V.
Bezirksverband des Bayerischen Schachbundes im Deutschen Schachbund e.V.
und Bayerischen Landessportverband

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One Night In Bad Königshofen

38 Schach-Rock Fans aus vier Bundesländern, vereint in zwei Hobbies

Bad Königshofen. 21 Uhr. Gleich schlägt die gusseiserne Kirchturmuhr zum neunten Mal.

Kurz zuvor ging ein Regenschauer über das Grabfeld nieder. 38 Schlachtenbummler aus vier Bundesländern haben sich zu diesem exklusiven Mix Event eingefunden. Teilweise sind sie dafür extra bis zu sieben Stunden mit dem Zug angereist. Die Rockanhänger treffen sich im Kursaal der Stadt. Schwülwarme Luft und offene Terrassentüren. Die erste Runde ist ausgelost und die schachspielenden Musikfans grooven an ihre Bretter. Turnierleiter Jürgen Müller erteilt den Startschuss. Die Uhren werden gedrückt.
DJ Max Schmitt dominiert die Bühne. Das Spotlight der Lichtorgel gibt ihm etwas Teuflisches 😈

Und so diabolisch ist auch sein Grinsen, aus Freude über die 10te Austragung von Rock meets Chess. Routiniert fährt er die Sound- und Lichtanlagen hoch.

Schon pulsieren erste Basslines der Rocksongs über die Bühne hinweg. Wroom, wrooom, bunk, bunk. Dröhnende Musik erfüllt den Raum und diffundiert unsichtbar durch den Saal hin zu den Tischen.

Die Figuren vibrieren leicht und verschieben unmerklich oszillierend ihre Positionen.

Von meiner Hinterbank aus, schaue ich dem Treiben narkotisiert zu. Mein Blick schweift umher, inhaliert eine langsame Raumdiagonale. Im Augenwinkel nehme ich – fast unbewusst – eine atypische, orangefarbene Bewegung war. Zunächst erkenne ich ihn kaum wieder. Verwundert nehme ich einen tanzenden Bad Neustädter Schachfreund wahr. Doktor Dreistein mutiert zum Einbein. Es hat ihn nicht mehr auf seinem Platz gehalten. Er bewegt sich an mir vorüber, im berühmten Chuck Berry move:

https://upload.wikimedia.org/score/b/8/b8zr4w2xvnbggspxyjmsd7dt9zr1upv/b8zr4w2x.mp3

Das kann ja heiter werden, denke ich mir. Die Veranstaltung droht bereits frühzeitig aus dem Ruder zu laufen: Chess, Drugs & Rock’n‘Roll! Mein Freund Tinnitus klopft vehement ans Innenohr und möchte hereingelassen werden.

Aber was passiert nun?

Die Turnierleitung schreitet in Aktion. Jürgen Müller verschafft sich vor Ort auf der Terrasse einen situativen Überblick. Er sorgt sich rührend um die Nachbarschaft des nahegelegenen Seniorenstifts „FrankenCare“.

Ein Dreiergremium an lokalen Fachexperten, darunter auch der Leiter der Polizeiinspektion Bad Neustadt, prüft draußen, bei geschlossenen Terrassentüren, die Lautstärke. DJ MaxSchmitt schwebt derweil in Trance und lässt sich von seiner Umwelt nicht mehr beirren. Das Dezibelmeter marschiert beim Gitarrenriff von Thunderstruck unversehens Richtung 100. Die Basstöne im Kursaal erfassen zunächst die Glasfensterkonstruktion, danach wabert die Gicht der Schallwellen an die Außenbalustrade und macht auch nicht vor dem Treppenabgang halt. Auf dem regennassen Asphalt des Vorhofs angekommen, lässt sie leicht kräuselnde und rhythmische Wellenberge in den abgeregneten Teerpfützen entstehen. Die Senioren von gegenüber schließen jedoch nicht ihre Fenster! Nein, sie drehen ihre Hörgeräteverstärker auf und wippen bereits mit, oder headbangen mit lichtem Haar zu den Rocksongs ihrer Jugend. 😉

Ihre Gehhilfen haben sie kurzerhand zu stampfenden Taktstöcken umfunktioniert. Sie fühlen sich wie neugeboren, skateboarden auf ihren Rollatoren durch die Gänge des Altersheims. Wenn man genau hinschaut, erkennt man ein Glänzen in ihren Augen. Endlich was los! 😉

Jürgen Müller konstatiert die Lautstärke als Turnier- und regelkonform und begibt sich mit seiner Entourage wieder in den Raum. Die Kämpfe auf den Brettern sind beschwingt und manchmal tumultartig. Je nach Kondition, Konzentration oder Zeitnot bringen sich manche Spieler um den verdienten Lohn. Sie trösten sich mit ausgelobten CD-Zwischengewinnen, sobald sie ihren Favoritensong erkannt und laut in den Saal gerufen haben.

Nach 11 Runden kristallisieren sich die Gewinner aus dem Rockschach affinen Teilnehmerfeld heraus. Mikahail Funtikov wird mit einem Start-Ziel-Sieg und elf vollen Punkten Erster, vor dem Klingenberger und RmC Sieger 2014 Christoph Lipok mit 7,5 Punkten, und dem Bad Neustädter Timo Helm (gleiche Punktzahl).

Die Bestplatzierten Schachrocker, v.l.n.r.: Timo Helm (Platz 3), Christoph Lipok (2.), Turnierorganisator Wolfgang Max Schmitt und Mikhail Funtikov (1. Platz mit 11/11) (Foto: Jonathan Simon)

Das Siegerfoto: Turnierorganisator Wolfgang Max Schmitt überreicht einen Single Malt Whisky an Mikhail Funtikov, (Foto: Jonathan Simon)

7xHose,1x Schach-Rock beim Rock-Schach, v.l.n.r: Claudia Reichert, Steffi von Rahden, Marianna Grineva, Angus Young, Alisa Kalinina, Andrea Schmitt, Daniela Susallek (Foto: Jonathan Simon)

Bei einem gemeinsamen Frühstück des sehr gut organisierten Turniers, das heuer Bestandteil des Bad Königshofener Chess Festivals ist, und einen signifikanten Anteil zum „crazy chess“ beiträgt, erholen sich die Teilnehmer von den nächtlichen Strapazen.
Nächstes Jahr, so verkündete es der Rock meets Chess Gründer Wolfgang Max Schmitt, wird es einen Weltrekordversuch für das Guinness Buch der Rekorde geben, wenn 100 schachspielende Rockfans angestrebt werden.
Derweil lasse ich im Stillen die Nacht Revue passieren. Ich schließe meine Augen und summe leise einen bekannten Schachsong von Murray Head. Aufgrund der bleiernen Müdigkeit verwechsele ich allerdings leicht Raum, Ort und Personen…:

Bad Königshofen, Rhön Grabfelder Schauplatz
Die Stadt weiß nicht, was hier im Schatten der Nacht im Kursaal passiert

Die Creme de la Creme der Schachwelt
In einer Rock meets Chess Show, der es an nichts fehlen wird – abgesehen von Magnus, dem Großen

Die Zeit fliegt durch die Nacht und es scheint noch keine Minute her zu sein
Dass der Rhöner Kurort die Schachcracks zu Gast hatte
Alles hat sich verändert, weißt du nicht
Dass wenn du auf diesem Niveau spielst
Es keine gewöhnlichen Austragungsorte mehr gibt…

Es muss dann schon Island, oder die Philippinen, oder Hastings
Oder … oder eben dieser Ort sein!

Bad Königshofen wird Zeuge werden
Beim ultimativen Test der geistigen Fitness und des Durchhaltevermögens
Das ist packender für mich, als ein schlammiger Fluss wie die Fränkische Saale
Oder ein halb schlafender SchmittMaxbuddha.

Gott sei Dank beobachte ich das Spiel nur, fotografiere es!

Epilog:

Da der Artikel zu Rock meets Chess im Rahmen des Crazy Chess Schachfestivals immer mit einem großen Augenzwinkern geschrieben und etwas überzeichnet ist, hier die Fakten:

  • Der Songtext fand in Anlehnung an „One Night in Bangkok“ statt. Writer(s): Bjoern K. Ulvaeus, Benny Goran Bror Andersson, Tim Rice Lyrics. Der Abba komponierte Song „One Night in Bangkok war in den 80ern ein Musical Hit. Die deutsche Übersetzung stammt von songtexte.de und konnte zeilenweise beinahe 1:1 adaptiert werden: https://www.songtexte.com/uebersetzung/murray-head/one-night-in-bangkok-deutsch-63d6b6d3.html
  • Der Chuck Berry move, den sich in späteren Jahren auch andere Rockstars wie Angus Young von ACDC angeeignet haben, wurde wirklich und gut gelaunt vom USV Vorsitzenden Dr. Harald Bittner zum Besten gegeben. Sein „aka“ Dreistein stammt von seiner E-Mail Adresse, und die wiederum referenziert auf eine Schach Lernserie der 80er, die Schachanfängern und dem TV Publikum das Schachspielen mittels der Familie Dreistein näher brachte.
  • Die „Inaugenscheinnahme“ des Geräuschpegels durch Jürgen Müller, dessen Sohn, sowie dem Polizeidienststellenleiter und Königshofener Schachspieler Gerd Jahrsdörfer fand wirklich so auf der Außenterrasse des Kursaals statt.Die Lautstärke war draußen bei geschlossenen Türen jedoch sehr gedämpft. Im Übrigen überschritt der Dezibelwert nach App-Messung, und falls überhaupt, nur kurzzeitig die 90er Grenze.
  • Ob die Bewohner des Seniorenstifts etwas von Rock meets Chess mitbekamen und durch die Gänge des Altersheims skateteten ist allerdings nicht überliefert.
  • Schade eigentlich nur, dass bei diesem Bericht die Tonspur abgeklemmt war.

KL

Weitere Impressionen (Fotos KL):